In den 90er Jahren waren Senderichtlinien sowie die Qualität des Ausgangsmaterials die bestimmenden Kriterien für das Color Grading. Damals musste jegliches Zelluloid bei der Digitalisierung mit bestmöglicher Qualität auf einen Datenträger übertragen werden, da die deutsche Sendenorm PAL mit einer, wesentlich geringeren Auflösung arbeitete, als die von Film zur Verfügung gestellte.
So gab es immer wieder Versuche, diese mangelhafte Auflösung zu überlisten. Ich erinnere mich an ein Projekt, welches zum Ziel hatte, mit 35mm Film eine 70mm Videoprojektion zu realisieren. In den Bavaria-Studios München wurde das Filmmaterial über Oxberry (Machine zur Einzelbildbelichtung mit fixer Filmpositionierung zur Vermeidung von Bildstandsfehlern) halbiert auf zweimal 35mm Film mit je einer Bildhäfte projeziert. Diese beiden Filme wurden dann getrennt in der Filmabtastung mittels Einzelbildabtastung mit Sperrgreifern äquivalent lichtbestimmt und auf zwei digitale Datenträger übertragen. Mittels Bildmischer wurden dann in der Projektion beide Bildhälften über zwei Projektionsquellen auf der Leinwand zu einem Bild zusammengefügt . Letztendlich ist das Projekt trotz all des Aufwandes dennoch gescheitert. An manchen Stellen konnte man leider Bildstandsfehler sehen, die sich dadurcch bemerkbar gemacht haben, dass die beiden Bildhälften in der Mitte gegeneinander gearbeitet haben.
Das Material
HD-Produktionen, wenn man sie rein wirtschaftlich mit reinen Filmproduktionen vergleicht, sind wesentlich billiger, da Datenträger wiederverwendbar sind und keine Kopierwerkskosten anfallen. Dies hat allerdings zur Folge, dass oft enorm viel Material produziert wird.
Qualitativ hat ein Filmnegativ eine Range und Charakteristik, die HD nicht so einfach erreicht. Man darf nicht vergessen, dass Zelluloid als analoger Bildspeicher sehr viel flexibler reagiert als eine Anhäufung binärer Zahlencodes. Natürlich verzeiht ein Filmneagtiv nicht endlose Eingriffe, aber schon eine Menge. HD hingegen hat zwar einen Pluspunkt durch die immer höher werdende Auflösung, ist aber zum qualitativen Erhalt derselben an einen sehr konsequenten Umgang, von der Aufzeichnung bis zum Master, gebunden.
Das beginnt bereits bei der Wahl der LUT’s, sogenannte Look-Up-Tables, die dem Material bereits bei der Aufzeichnung eine Grundcharakteristik verleihen. Diese Parameter haben großen Einfluss auf den weiteren Produktionsprozess und manchmal auch auf die Kosten des anschließenden Color Gradings.
Vor ein paar Jahren hatte ich die Gelegenheit per Zufall an einen Extremfall zu geraten, der eben ohne irgendeinen LUT gedreht worden war. Manche mögen sagen, das geht nicht, aber leider zeigte die Realität, dass es wohl doch geht. Die Produktion war, wie viele Dokumentarfilmproduktionen, eng budgetiert und arbeitete deshalb mit Kameraleuten vor Ort. Das kann oft sogar ein großer Vorteil sein, aber offensichtlich hatte man in diesem Fall keine Möglichkeit, das Footage zu kontrolieren.
Karl Berger - Music Mind
Natürlich ist es immer schwierig, die Situation in einer Gradingsuite zu vermitteln, wenn die Automatismen einer Software wie Baselight nicht mehr in der Lage sind, während eines Gradings auf exorbitante “Ausrutscher” im Rohmaterial mit einer passablen Ausgangssituation für ein Grading zu reagieren. Aber ich habe ein paar Beispiele, die vielleicht ein wenig dokumentieren, dass das zu einem echten Problem führen kann.
Ich halte dieses Beispiel für repräsentativ, um auch ein wenig den Unterschied zwischen einem Filmnegativ und HD- Material zu beleuchten. Natürlich ist es möglich, selbst so ein verfahrenes Material in eine akzeptable Form zu bringen, allerdings wäre das vom Budget her in den meisten Fällen absolut unrentabel. Ich persönlich empfand es als eine interessante Herausforderung, trotz der widrigen Umstände etwas daraus zu machen.
Szenenbilder aus der Dokumentation "Karl Berger - Music Mind"
Eine Chance?
Das Arbeiten mit LUT’s ist eine angenehme Option, Rohmaterial seine passenden Parameter zuzuweisen und direkt ein akzeptables Bild zur Verfügung zu haben. Allerdings werden dadurch auch grundlegende Parameter festgelegt, die die Rahmenbedinungen für ein Grading bilden.
Bei nachfolgenden Konzertaufnahmen sind durch gravierende Fehler bei der Aufnahme auch wesentliche Lichtstimmungen abhanden gekommen. Die manuelle Herangehensweise (in diesem Fall nicht anders möglich!) bietet den tatsächlichen Einblick in verfügbare Optionen. So mussten sämtliche Lichtstimmungen mit Baselight nachgebaut werden. Als Orientierung standen mir nur die schwachen Reflektionen am Boden zur Verfügung. Auch die Projektion an der Rückwand musste ersetzt werden, da sie im Rohmaterial quasi nicht vorhanden war.
Im Gegensatz zu einem HD-Footage sind beim Film-Negativ immer alle Informationen enthalten, außer der Kameramann hat ein Problem beim belichten.
Eines Tages stand einmal ein Kunde mit einem Negativ in der Regie und erzählte mir, dass das Footage frisch aus England komme und ganz schnell gegradet werden müsse. Die Produktion hatte Rohmaterial für einen Spot gedreht, bei dem ein Fensterrahmen in einem weißen Raum frei schwebend Mittelpunkt der Handlung war. Der Raum sollte als eine weiße Fläche erscheinen. Bei Befundung des Negativs stellte sich dann leider heraus, dass der Kameramann mit zu wenig Licht gearbeitet hatte.
Mit heutiger Technik ist das kein Thema mehr, aber Mitte der Neunziger konnte man so ein Material quasi in die Tonne treten.